Page 5 - Berchtoldsgaden-Musick
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Stams erwarb oder zu einem Oratorium des Fiechter Kollegen als Einlage einen Chor mit
Orchesterbegleitung komponierte.
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Nicht zuletzt liefert der Titel Berchtoldsgaden Musick der Stamser Handschrift einen entscheidenden
Hinweis auf ihre Authentizität: Berchtesgadener Musik war gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein
Genretyp beliebter Unterhaltungsmusik und zwar in einer spezifischen Besetzung, die in einem
Berchtesgadener Bericht von 1791 angeführt ist: Bei dieser Musik haben Violins, Bratschen und
Contrabaß die Hauptstimmen, die Nebenstimmen aber werden mit verschiedenen, in dem hiesigen
Lande verfertigten Pfeiferln, Ratschen, Trompeterln, Kuckuckmaschinen, alles auf Noten und Takt
besetzt. Somit entsprechen in der Stamser Handschrift Titel und Standardbesetzung einander, was für
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andere Quellen nicht zutrifft.
Neben solch äußeren Umständen, die die Annahme der Autorschaft Angerers bereits dringlich
nahelegen, ist zu fragen, inwieweit sich die Berchtoldsgaden Musick, ein Kleinod und abseits der
Konvention eines komponierenden Benediktiners, in das Gesamtschaffen Angerers einfügt. Neben
geistlichen Werken finden sich in Angerers Œuvre Operetten wie Singspiele, so Der
Dorfschulmeister, Das wohlverwendete Almosen, Der Kühehirt von Ulm. Der Tiroler Historiograph
Benedikt von Sardagna urteilte um 1790: P. Edmund komponiert meistens Kirchenmusiken, ist aber
auch im theatralischen Style glüklich: überhaupt aber hat er in seinen Kompositionen viel originelles
und drükt aich sehr gut aus. Die zeitgenössische Feststellung, Angerer schreibe viel originelles ...,
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besitzt für die Kindersinfoniejedenfalls Gültigkeit.
Im Kühehirt von Ulm setzt Angerer neben dem gewöhnlichen Orchester mit Streichern, zwei Oboen und
zwei Hörnern Piffaro, Wachtlruf und Gucku ein, dazu wiederholen sich stilistische Komponenten
der Kindersinfonie, wie das gleiche rhythmische Modell des Kuckucksrufs oder das Alphorn-Fa. Zwei
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Bockshörner und ein Muschelhorn verleihen der Wilden Jagd-Szene im Wohlverwendeten Almosen ein
ungezähmtes Kolorit. Die Aria auf die Heilige Nacht von Angerer leitet ein Glockenspiel, den
Stundenschlag zur Mitternacht symbolisierend, mit ein. Das Menuett in Angerers Divertimento für vier
Hörner zeigt in seinen Motiven substantielle Ähnlichkeiten mit dem Menuett der Berchtoldsgaden
Musick. Die Gleichartigkeit von Rhythmik und Harmonik beider Sätze ist ebenso frappant.
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Berchtesgadener Instrumente, im 18. Jahr-hundert international begehrte Modeartikel, waren im
Wirkungskreis Angerers bekannt. Erzeugt wurden sie in Berchtesgaden, in Oberösterreich oder im
tirolischen Grödental. Kinder auf der Straße erfreuten sich an ihnen ebenso wie adelige Herrschaften in
Residenzen und Klöstern, häufig bei Fastnachtsvergnügungen. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts stieg
die Produktion der Speilwarenmanufakturen, insbesondere mit dem Zentrum Berchtesgaden, sprunghaft
an. Für den Absatz der vielfach klingenden Ware sorgten vorwiegend umherziehende
Handelsgesellschaften, oft kleine Familienbetriebe, die ihre Artikel auf Märkten reißerisch feilboten.
Möglicherweise führten sie zur Verkaufssteigerung das ein oder andere simple Musikstück,
als Pertelzkammersinfonie selbst im Hause Mozart geläufig, vor.
Edmund Angerer könnte etwa als Singknabe oder später als Kompositionsschüler im Damenstift zu Hall
auf dem berühmten Haller Jahrmarkt den Berchtesgadener Pfeifchen und Trompetchen begegnet sein,
doch auch im Kloster Fiecht selbst mögen die Wanderhändler iher Güter angepriesen haben, Instrumente