Page 4 - Berchtoldsgaden-Musick
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ohne  Werktitel,  registriert;  die  Besetzungsangabe  lautet: Violino,  Viola,  Baßo.  con  sei  stromenti

               fanciulesci Berchtoldsgaden. Deutlich steht der Name des Komponisten: Angerer. Die
               Registraturnummer A. a. 17 trägt ein Sternchen, ein Zeichen, mit dem nur ein Teil der verzeichneten
               Werke kenntlich gemacht ist. Dieses Sternchen stellt den Schlüssel zur Identifizierung des Komponisten
               der Kindersinfonie dar: Paluselli hat diejenigen Handschriften und Drucke des Stamser Notenbestandes,

               die er persönlich für Stams erworben hat, mit einem Sternchen markiert und dies auch selbst im Katalog
               erklärt: Nach Seite 237 begann er auf drei  letzten, unpaginierten Seiten  ein Register: Res, quas
               R[everendus P. Stephanus ad Chorum Stamsensem procuravit. Seq[uuntur]. Am Ende der Aufzählung
               schließt er: et omnes quae signantur  hoc (*) signo. Das Verb procuravit besagt unzweifelhaft, daß

               Paluselli das Stück selber für die Sammlung besorgt hat. Die Abschrift gelangte Nicht durch irgendeinen
               Zufall hierher, sondern wurde ganz gezielt angeschafft.
               Unter dieser Bedingung der Handschriftenakzession nach Stams ist es unvorstellbar, daß Paluselli nun
               die Komposition, die er eigenhändig abgeschrieben und - vor allem - durch Eigeninitiative beigebracht

               hat, einem anderen als dem wahrhaftigen Autor zuordnet. Schließlich waren Angerer und Paluselli in
               Tirol renommierte Persönlichkeiten, die sich zumindets von den Aufenthalten Angerers in Stams her
               gekannt haben müssen. Wenn Angerer als Dirigent im Stift Stams auftrat, wird Paluselli zu diesem
               Ereignis  aktiv seinen  Teil  beigetragen  haben,  etwa  als  Violinist,  Sänger  oder vielleicht  durch  die

               Einstudierung des Chores. Zwischen  Klöstern bestand damals die  rege Gewohnheit, Notenmaterial
               auszutauschen. Das Inntal war eine stark frequentierte Durchzugsstraße, nicht zuletzt für Künstler, so
               daß auch von daher es keinem Zweifel unterliegen kann, daß Paluselli als Vorlage für seine Abschrift
               der Kindersinfonie ein Autograph oder eine  Kopie  aus Stift Fiecht verwendet  haben wird. Angerer

               könnte bei einem seiner  Besuche in Stams sein Werk selbst dabeigehabt und Paluselli zur Kopie
               überlassen haben. Für Paluselli bestand kein Anlaß, nicht den wahren Autor zu nennen. Kommerzielle
               oder andere die Rezeption fördernde Gründe für die Verschleierung des Komponisten waren im Kloster
               nicht relevant.  Paluselli und  Angerer wirkten in ihrem Kloster  als Musikerzieher  der studierenden

               Jugend, die in Fiecht - als vorstellbarem Entstehungsort des Stücks - wie in Stams ursprünglich die
               ersten Aufführungen bestritten haben könnte. Das Autograph  der Berchtoldsgaden Musick ist
               verschollen; es dürfte spätestens 1868 beim großen Klosterbrand in Fiecht, dem alle Musikalien des
               Klosters anheim fielen, vernichtet worden sein.

               Die Berchtoldsgaden Musick ist im Stamser Bestand ein Unikat dieses Genres. Schon die Originalität
               des Werks dürfte für Paluselli ein Anlaß gewesen sein, den Namen des Autors nicht nur anzugeben,
               sondern insbesondere korrekt zu überliefern und damit das Stück als unverwechselbar zu protokollieren.
               Die wahrheitgetreue Präsentation einer Komposition bildete im Stift Stams einen Grundsatz, dem auch

               für die Kindersinfonie Geltung zugesprochen werden kann.  Durch die unmittelbare Beziehung
                                                                       [10]
               Angerer - Paluselli bzw. Stift Fiecht - Stift Stams war die Gewißheit der korrekten verfertigung des
               Notenmaterials von vornherein gegeben; andernfalls hätte Paluselli bei Angerer selbst oder im Stift
               Fiecht Erkundigungen eingeholt und eine Korrektur angebracht. Das enge Verhältnis Angerer - Paluselli

               spiegelt sich auch darin, daß Paluselli außer der Berchtoldsgaden Musick eine Messe Angerers neu für
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