Page 1 - Berchtoldsgaden-Musick
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HILDEGARD HERRMANN-SCHNEIDER
ZUR EDITION
Nach den zwei bisher erschienenen Thematischen Katalogen der Musikhandschriften des
Dominikanerinnenklosters Lienz (in Osttirol) wie der Pfarrkirche und Musikkapelle Vils (im Außerfern)
findet jetzt die Reihe Beiträge zur Musikforschung in Tirol ihre Fortsetzung mit einem Band, der
erstmals die Werkausgabe eines seit zweihundert Jahren aktuellen Schlagers, die sog. Kindersinfonie,
in der nun wissenschaftlich nachgewiesenen ursprünglichen, aus Tirol von Edmund Angerer OSB
stammenden Fassung präsentiert. Wiederum kann somit ein bedeutendes Ergebnis
musikwissenschaftlicher Quellenerschließung und Grundlagenforschung vorgelegt werden.
Obwohl vom beginnenden 19. Jahrhundert an bis in unsere Tage bereits mehrfach Druckausgaben
der Kindersinfonie - unter verschiedenen Voraussetzungen und Aspekten - erschienen sind, erweist sich
die erneute Edition als Desideratum. Die handschriftliche Überlieferung des Stücks nennt - außerhalb
Tirols - Haydn, Josef Haydn, Michael Haydn oder Leopold Mozart als Autor, die frühen Drucke in
London, Paris oder Leipzig - hier 1813 bei Hofmeister zum ersten Mal unter dem Titel Kinder-Sinfonie -
geben Josef Haydn als Komponisten an. In der Folge beschäftigte die Frage der Autorschaft immer
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wieder von neuem die Musikwissenschaft, schon im 19. Jahrhundert. Bei allem Bekanntheitsgrad der
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Komposition, ihr Schöpfer war letztlich ein Unbekannter.
Zwar hat man die Existenz der Handschrift mit der Kindersinfonie unter dem
Komponistennamen Edmund Angerer im Musikarchiv von Stift Stams in Tirol zur Kenntnis genommen,
ihr aber anfangs sogar eine Relevanz für die Klärung der Autorschaft abgesprochen. Inzwischen wurde
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sie in analytische Untersuchungen aller verfügbaren Quellen zum Werk (Notenabschriften) mit
einbezogen. Hierbei zeigte sich die Stamser Lesart für mehrere Stellen im Stück als die musikalisch
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am ehesten folgerichtigste. Darüber hinaus wurde schließlich vermutet, daß die Stamser Fassung
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insgesamt dem als verloren angesehenen Original am nächsten käme. Trotzdem war es noch nicht
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möglich, eine definitive Zuschreibung an den Komponisten Edmund Angerer vorzunehmen.
Im Rahmen der Forschungstätigkeit des Tiroler Musikkatasters / RISM (Répertoire International des
Sources Musicales) Westösterreich gelang mir vor kurzem der Nachweis, daß
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die Kindersinfonie tatsächlich von Angerer komponiert worden sein muß. Die laufende Arbeit an der
wissenschaftlichen Katalogisierung des vielfach aufsehenerregenden Musikarchivs von Stift Stams
bringt ein detailliertes Wissen um die Konsistenz des gesamten Notenbestandes samt seinem Werden
mit sich, um historische Ereignisse im Stift und dessen weiterem Umfeld oder etwa um die
Musizierpraxis in Stams. Die Kenntnis dieses - ausschlaggebenden - Kontextes erlaubt es, Edmund
Angerer effektiv als Komponisten der Kindersinfonie zu betrachten. Und damit wird der Erstdruck der
heute verfügbaren Urfassung des Werks unabdingbar. Er soll hiermit dem wissenschaftlich wie
aufführungpraktisch Interessierten einen verläßlichen Text bieten.